Vom Kosovo nach Erkenschwick – unser erster Auftritt beim Europapokal

Text: Jonah Krause 

Früh am Freitagmorgen des 19. Oktober 2024 machten Aljoscha, Martin, Frank, Giso, Benedict und ich uns auf, um das erste Mal in der Geschichte unserer Schachabteilung im Europapokal zu spielen.  

Schon am Flughafen zeigte sich, dass wir diese Idee nicht exklusiv hatten: Während unsere Mitreisenden in der S-Bahn noch zu ungefähr gleichen Teilen Frühpendler auf dem Weg zur Arbeit und Partyheimkehrer waren, bestand gefühlt die halbe Check-In-Schlange bei Wizz Air aus Schachspielern und Spielerinnen, was aufgrund der rar gesäten Direktflugoptionen nach Serbien nicht überraschte. Für uns alle ging es erst nach Belgrad und von dort per Shuttlebus ins ca. drei Autostunden entfernte Vrnjačka Banja in Zentralserbien. 

An Startplatz 30 von 84 gesetzt erwarteten uns qualitativ sowohl Teams der Kategorie Champions League Lostopf 1 als auch allerlei “Thekentruppen” aus der Conference League Qualifikationsrunde. Unser Ziel war daher vor allem, möglichst einen frühen Überraschungserfolg zu landen, um das übliche Ping-Pong im Schweizer System zu umgehen.  

In Runde 1 trafen wir auf das serbische Team SK Radnicki, gegen die sich letztlich die 200-300 Elopunkte Vorteil pro Brett durchsetzten, obwohl unsere Gegner an einigen Brettern harte Gegenwehr leisteten. Zur Belohnung durften wir am folgenden Tag an Tisch 9 vorsprechen und bekamen es mit C‘Chartres Echecs aus Frankreich mit einem Schnitt von ungefähr 2600 Elopunkten zu tun. Lange sah es hier tatsächlich aussichtsreich für uns aus, aber letztendlich vergaben wir an den Brettern 3-6 unsere Chancen, was in Summe zu viel war. Highlight war definitiv der flotte Schwarzsieg von Benedict gegen den (ehemaligen) Carlsen-Sekundanten Laurent Fressinet. 

Runde 3 führte uns geographisch sowohl in den Norden gegen SOSS aus Norwegen als auch in den dritten Spielsaal, sodass wir diese Sammlung schon einmal komplettieren konnten. Wir gewannen sehr souverän, wobei Benedict als einziger Gnade walten ließ uns sich fortan damit beschäftigen konnte, ob sich Gisos Dame an Brett 6 verlaufen oder heldenhaft geopfert hatte (letzteres!). Als Nächstes ging es für uns schachlich nach Israel gegen den Beer Sheva Chess Club. Wie gegen C‘Chartres Echecs sah es lange sehr gut aus für uns, bis uns die Luft ausging (oder unsere großmeisterlichen Gegner die Daumenschrauben anzogen). Letztendlich steuerten Aljoscha und Martin die einzigen Remissen bei – wobei beide wohl zwischenzeitlich beinahe auf Gewinn standen.  

Bei der nächsten Auslosung merkte man, dass sich die Gegnerstärke langsam anglich und so war Drejtesia-Trokadero aus dem Kosovo der bislang mit Abstand härteste Brocken, den wir aus der unteren Setzlistenhälfte bekamen. Wir behielten nach langem Kampf am Ende knapp mit 3,5:2,5 die Oberhand, insbesondere Martin gewann in der ersten Runde seines damit beginnenden e:f6-Caro-Kann Thementurniers eine sehr instruktive Partie. Allerdings war ein 3:3 für unsere Gegner durchaus in Reichweite, hätte Franks Gegner nicht in einem besseren Endspiel ohne große Gewinnbestrebungen 50 Züge herausgeblitzt, wonach folgerichtig das Remis reklamiert wurde. Vielleicht war der Respekt zu groß, nachdem Frank ihn vorher zugegebenermaßen komplett überspielt hatte. Da ich mich bei Beendigung der Partie gerade auf dem Flur befand, hatte ich vom Partieende noch nichts mitbekommen, als mir unsere Gegner entgegenkamen und gratulierten. Im Glauben Frank hätte verloren gab ich Ihnen als Mannschaftsführer also noch ein herzliches „Congrats as well!“ mit auf den Weg, was etwas irritiert zur Kenntnis genommen, aber trotzdem höflich abgenickt wurde.  

Unsere letzte Chance gegen ein vor uns gesetztes Team bekamen wir am Folgetag gegen Elektroprivreda aus Montenegro. Namenstechnisch eventuell die montenegrinische Antwort auf Stahl Brandenburg und Lokomotive Leipzig drehten unsere Gegner die Regler voll auf. Bei uns gab es Kurzschlüsse in der Eröffnung (bei mir) und im Endspiel (bei Martin), unerwarteten Starkstrom irgendwo dazwischen (Giso und Bene) und zudem einen (allerdings unbestraften) Totalausfall in der Regelkunde (Frank & Gegner). Das war in Summe leider deutlich zu viel und ein Aljoscha alleine kann zwar Vieles, aber nicht alles reparieren. Somit waren wir ob der chancenlosen Niederlage etwas desillusioniert und zogen uns zum Wunden lecken ins Hotel Spa und später an die Bar zurück. In der letzten Runde wollten wir das Turnier unbedingt zu einem versöhnlichen Abschluss bringen sowie unsere Setzlistenplatzierung ungefähr bestätigen. Unsere Europatournee führte uns dazu dieses Mal nicht in die Ferne, sondern nach Erkenschwick bei Recklinghausen. Bestimmt auch schön dort! Jedenfalls konnten wir zum Abschluss noch einmal einen guten Mannschaftskampf spielen und übten an allen Brettern Druck aus. Insbesondere Franks Schwarzpartie ist hier – obwohl nicht gekrönt – besonders zu nennen. Letztendlich steuerten Martin, der insgesamt ein sehr gutes Turnier spielte und ich die ganzen Punkte bei, während Aljoscha leider den für eine GM-Norm notwendigen Sieg knapp verpasste und schlussendlich im Turmendspiel in Remis einwilligen musste. Trotzdem ein sehr starkes Turnier von ihm ohne Niederlage an Brett 1! Mit diesem 4-2 Sieg landeten wir auf Rang 33 und konnten insgesamt sogar ein leichtes Eloplus verbuchen.  

Herzlichen Dank an dieser Stelle nochmal an die Ausrichter für die sehr gute Organisation von den hervorragenden Spielbedingungen über die Hotelbuchungen bis zur Organisation des Transfers! Wir werden in den nächsten Jahren auf jeden Fall gerne wiederkommen. 

Mannschaftsfoto
Foto: St. Pauli, copyright: FC St. Pauli Schachabteilung
Nach oben scrollen